Interview

Adelheid, in deiner Kunst treten immer wieder bestimmte Themenkreis auf, die sich wie ein roter Faden seit Jahren durch dein Ouevre ziehen. Da geht es etwa um die Umwelt oder um Religion. Welche Motivkreise würdest du als wichtig für dich nennen?

Da ist zunächst das Thema „Natur“. Dabei geht es mir nicht nur um die Sorge um die Zukunft dieser Erde, sondern auch ihre Schönheit. Manchmal möchte ich vor Begeisterung über die Natur in die Hände klatschen. Für kurze Zeit - manchmal nur für das Moment einer Fotoaufnahme - versuche ich durch Eingriffe in die Landschaft oder in den Raum eine Irrealität herzustellen, die dafür die Augen öffnet. „Die einzige wahre Reise wäre für uns, wenn wir nicht neue Landschaften aufsuchten sondern andere Augen hätten“, heißt es bei Proust.
Ein Kunstwerk zu schaffen, heißt für mich ferner, über einen Ort nachzudenken oder ihn neu zu schaffen, also die Unendlichkeit des Raums auf spezielle Weise einzugrenzen. Ein hebräisches Wort für Gott, nämlich „ Makom“, bedeutet „Ort“. Da wären wir schon bei deiner Frage nach der Religion. Bei den Arbeiten, die ich in der Wüste und am Meer angefertigt habe, waren mir die ‚göttliche’ Einmaligkeit des Ortes und Unwiederholbarkeit des Augenblicks wichtig.
Bei den Installationen im Umfeld der Emscher ging es mir darum, die kritische Aufmerksamkeit des Betrachters - vom Werk ausgehend - auf den Ort zu lenken. Sie sind aus der Intention entstanden, unsere Anästhesierung gegenüber der Verschmutzung und Zerstörung der Natur zu problematisieren. Eine Sensibilisierung für die Gefahren zu schaffen, die die Industrie und eine intensivierte, industrialisierte Landwirtschaft für unsere Wasserqualität darstellen. Wenn ich die kanalisierten Zuflüsse der Emscher sehe, die abgesperrt sind, weil es lebensgefährlich ist, in sie hineinzufallen, da ihre Gifte unsere inneren Organe zerfressen, könnte ich weinen.
Wir blenden zu oft die vielen von uns verursachten Veränderungen der Natur und die Probleme aus, die wir kommenden Generationen und anderen Lebewesen durch unsere Gier zufügen. Wir halten uns für das Maß aller Dinge und sind dabei maßlos.

Da schließt sich gleich eine weitere Frage an, nämlich, ob die Kunst für dich einen Zweck hat. Soll sie gesellschaftliche Missstände aufzeigen, neue Gedanken möglich machen, etwas aufdecken? Kannst du das für deine Kunst sagen?

Picasso hat einmal gesagt, „Malerei ist nicht dazu da Wohnungen auszuschmücken, Sie ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind..“
Ich kann diesen Satz nur unterschreiben. Oft entsteht meine Kunst aus der Anklage, der Angst und dem Widerstand. Kunst soll für mich Sinn gegen die Sinnlosigkeit schaffen, ein Stück Ganz-Sein gegen die Zerstückelung, soll Mut gegen die Angst machen.

Du findest für deine Arbeiten dann sehr unterschiedliche Formen der künstlerischen Umsetzung. Wie gestaltet sich da der Schaffensprozess? Ist erst der Inhalt da und du suchst dann nach einer passenden künstlerischen Form? Oder ist das Interesse an dem künstlerischen Material größer und dafür wird ein Thema gesucht. Oder bedingt sich beides? Kannst du vielleicht an einem Beispiel so einen Werdegang von der Idee zum präsenten Exponat beschreiben?

Oft gehe ich von den Fragen aus, die mich beschäftigen. Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?
An dem Thema „Emscher“ kann ich dir das gut beschreiben. Mir wurde klar, dass es ein Gegenbild zu diesem vergifteten Fluss gibt, nämlich einen Strom von Tieren, Menschen und Pflanzen, die vor uns waren und nach uns kommen möchten. In den anschließenden Überlegungen wurde für mich das Thema „Zeit“ interessant, und ich versuchte dafür Bilder zu finden – etwa in Gestalt der Schattenarbeiten, der Wachsarbeiten und des goldenen Koffers, der im Kreis fährt.
In diesem Zusammenhang begann mich der Gedanke, dass jeden Menschen etwas durch das Leben trägt, das genauso wichtig ist wie Wasser, zu beschäftigen. Daraus hat sich dann die Installation „Living Water“ entwickelt. Ich habe Menschen aus zwanzig Nationen gebeten, mir Worte, die ihnen genauso wichtig sind wie Wasser, in ihrer Sprache aufzuschreiben; und ich habe alle Beiträge, die ich mir auf kleinen Streifen hatte aufschreiben lassen, zusammengenäht und in Wachs getaucht – und zwar auf Streifen einer zerschnittenen Landkarte. Es war die Karte von dem Land, in das mein Vater vor Jahrzehnten emigrieren wollte. Am Ende hatte ich tatsächlich ein Bild gefunden für den Strom der Menschen; das war ein Geschenk.
Das alles umzusetzen, hat viel Arbeit gemacht und einige Überlegungen gekostet, schließlich bin ich kein Techniker. Um deine Frage zu beantworten; Ich würde sagen, dass erst ein inhaltliches Konzept da ist; dann folgt die Umsetzung, wobei es nicht ohne Zufälle abgeht.

Was ist für die wichtiger - der ästhetische Gehalt eines Werkes oder der Inhalt, die Aussage? Kann man das trennen? Gibt es auch Werke, die rein ästhetisch begründet sind?

Ästhetik spielt natürlich eine große Rolle, weil ich mich immer frage: Wie sieht etwas aus? Arbeiten die rein ästhetisch begründet sind, interessieren mich jedoch nur am Rande.

Es fällt auf, das manche Kunstwerke auch stark biografisch geprägt sind und so eine sehr subjektiv geprägte Art von Kunst darstellen, die viel von dir preisgibt. Ich denke da an die Installation mit dem Brautkleid oder die ergreifenden realistischen Bilder zum Tod deines Vaters. Wie kam es dazu?

Das stimmt. Schließlich ist es mein eigenes Brautkleid, das sich mittels eines kleinen Elektromotors dreht, während Feuer oder Wasser darauf projiziert werden, während ein Besoffener Akkordeon spielt und dazu einen alten Gospel singt. Es gab in meinem Leben durchaus spannende Zeiten. Auch Heiraten war für mich eine spannende Sache. Für mich fängt die Freiheit dort an, wo die Angst aufhört und das Vertrauen siegt. Deshalb habe ich die Installation mit dem Brautkleid nach Vers 12 Psalm 66 genannt “Du hast uns durch Feuer und Wasser gehen lassen, aber du hast uns in die Freiheit hinaus geführt“.
Seitdem ich zweimal mit dem Leben davon gekommen bin, lebe ich anders. Insofern ist meine Arbeit immer biographisch. In der Arbeit „Verwandlung“ habe ich diese Erfahrung explizit verarbeitet. Das Schönste ist, dass man überhaupt lebt.
Das Spiel mit der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit spielt für mich demgemäß eine große Rolle. Man sieht das besonders an den Schattenarbeiten und den kybernetischen Objekten, aber auch an meiner Malerei. Kurz nach seinem Tod sah mein Vater so erlöst aus - erlöst von allem, was ihn sein Leben lang belastet hatte. Für mich zeigte sich da sein wahres Antlitz. „Diesseitig bin ich gar nicht fassbar“, waren die Worte auf dem Grabstein von Klee. Ähnlich habe ich das Gesicht meines Vaters empfunden. Deshalb wollte ich es erfassen und für mich am Leben erhalten.

Woher nimmst du die Anregungen zu den facettenreichen Spielarten deiner Arbeiten? Stehst du im Austausch mit anderen Künstlern, mit Schriftstellern, Musikern? Geben Menschen dir Inspirationen oder Bücher, die Natur?

Manchmal ist es ein Schmerz, der mich nicht zur Ruhe kommen lässt, eine Frage. Mich inspiriert eigentlich alles. Andere Künstler, Freunde, Natur, Philosophie, Musik, unsere deutsche Geschichte, die Bibel. An ihr interessiert mich das Überschreiten der endlichen Wirklichkeit auf die unendliche hin.

Nun ist man bei einer so vielseitigen Künstlerin ja immer auch etwas neugierig. Darf ich fragen, was du planst. Gibt es etwas, was du ausprobieren, darstellen möchtest? Ein neues Projekt?

Ich möchte gerne eine Filminstallation fertigstellen. In ihr balanciert ein kleiner weißer Bär auf einem Drahtseil durch eine schwarze Nacht. Außerdem plane ich im nächsten Jahr zwei Ausstellungen an ganz unterschiedlichen Orten, auf die ich mit meinen Objekten Bezug nehmen will.



Interview (english)

Adelheid, there are certain topics that occur over and over again in your work and which have appeared like a red thread throughout your oeuvre for years. It is all about the environment and religion. Which groups of motifs do you consider as important for you?

First of all it is the topic “nature”. For me, it is not only the concern for the future of this earth but also for its beauty. Sometimes I simply want to clap my hands with amazement about our nature. For a short instant – sometimes only for the moment a photo is actually taken – by interfering with the landscape or space I try to create an unreality that opens people’s eyes for it. Proust would put it the following: “If we did not visit new landscapes but had different eyes, this would be the only true journey for us“ Furthermore, for me, creating an art work means to think about a place or to create it newly - to limit the endlessness of this space in a special way so to speak. A Hebrew word for God, namely “Makom”, means “space”. And here we have already arrived at your question about religion. With those works, which I completed in the desert or by the sea, the divine uniqueness of a place and the unrepeatability of a moment have been important to me.

With the installations near the Emscher it was my concern to lead the viewer’s critical attention – originating from the work itself - to the actual place. They emerged from the intention to question our deaestheticization towards the pollution and destruction of nature. In addition, they are to sensitize the viewer regarding the dangers which the industries and the intensified, industrialized agriculture pose for the quality of our water. Seeing the canalized inflows of the Emscher canal, which are closed off because it is life-threatening to fall into them because their poisons eat up our inner organs, I could cry. Too often do we hide all those changes of nature and problems we actually caused and which we inflict on the following generations and other creatures through our greed. We regard ourselves as the measure of all things and are at the same time immoderate.

What is coming up at this point is a further question, namely whether arts have a specific purpose for you. Are they supposed to demonstrate societal grievances, evoke new thoughts or reveal something? Is this true for your work?

Picasso once said “painting is not a means to decorate flats, but a weapon of attack or defence against the enemy… “ I can only sign this sentence. Often my art emerges from assault, fear and resistance. For me, arts shall make sense against the senselessness, be a full piece against fragmentation, it shall bolster up against fear.

Concerning your own work you find highly different forms of artistic implementation. How does the creative process look like in this case? Is the content first and you are looking for an appropriate artistic form in the second step? Or is your interest for a specific artistic material bigger, which then makes you search for a topic? Would it be possible for you to describe such a development from the idea up to the present exhibit?

Often I start off with questions that occupy me. Where are we from? Who are we? Where do we go? I can well explain this with the topic „Emscher“ to you. I became aware that there is a counter-image to the poisoned river, namely a stream of animals, humans and plants, which have been before us and which would like to come after us. In the following thoughts the topic “time” appeared to be interesting to me and I tried to find images for that – in the form of my works with shadows, wax and the golden suitcase which is riding in a circle. In this context the thought that there is something that carries each human being trough his or her life, which is just as important as water, began to occupy my mind. This is what the installation “Living Water” emerged from. I asked people from twenty nations to note down words in their particular language that are as important to them as water; and I sewed all the contributions, which I let them write down on little stripes, together and dipped them into wax – in fact the stripes were a cut map. It was the map of the country into which my father had wanted to emigrate decades ago. In the end I eventually found an image for the stream of people; this was a gift. To implement all this required a great deal of work and cost several considerations, I am no technician after all. In order to answer your question; I would say that I do have a concept concerning a specific content first; then the implementation follows, which will not do without coincidences.

What do you consider more important – the aesthetic nature of an art work or its content? Is it possible to separate those? Are there works which are only motivated aesthetically?

Aesthetics do of course play a major role because I keep asking myself: How does something look like? However, works that are only motivated aesthetically are only of second interest to me.

It is noticeable that some art works are influenced biographically and that way create a very subjective form of art which reveals a lot about you. I am thinking of the installation with the wedding dress or the touching realistic images about your father’s death. How did these come about?

That is right. After all, it is my own wedding dress turning on its own axis by means of a little electric motor with fire or water being projected onto it while a drunk person plays the accordion singing an old gospel. There have by all means been exciting times in my life. Even getting married was an exciting thing to me. For me freedom begins where fear ends and trust wins. This is why I named the installation with the wedding dress after verse 12 psalm 66 “you made us walk through fire and water, but you lead us out into freedom”. Since then I have escaped with my life two times I live differently. In this respect my work is always biographical. In the piece “Verwandlung” I explicitly processed that experience. The most beautiful thing is that you live at all. This, the play with volatility and perishability plays a big role for me. This becomes most obvious with the works with shadows and the cybernetic objects but also in my paintings. Shortly after his death my dad looked relieved – relieved from everything that has stressed him throughout his life. For me, only then did his real visage came to the surface. “On that side I am not tangible at all” were the words on Klee’s gravestone. I experienced this similarly with my father’s face. That is why I wanted to capture it and keep it alive for myself that way.

Where do you take the inspirations for the multifaceted play of your works?

Are you engaged in an exchange with artists, writers, musicians? Is it the people, books or nature that inspire you?
Sometimes it is a pain that will not let me calm down - a question. In fact everything inspires me. Other artists, friends, nature, philosophy, music, our German history, the bible. Here it is the transcendence of the finite reality towards the infinite one.

Well, it is only natural to be a bit curious about such a multifaceted artist. May I ask you what you are planning? Is there anything you would like to try or depict? A new project?

I would like to complete a film installation. A little white bear shall balance on a wire rope through the black night. Moreover, I plan two exhibitions for next year in very different places to which I would like to refer with my objects.